Ich warte auf den Sturm. Ob er wirklich kommt, oder ob es am Ende nur ein laues Lüftchen sein wird? Ich bin gespannt. In mir tobt der Sturm tatsächlich schon seit Jahren. Seit Jahren versuche mit Hilfe des kognitiven Teils meines Gehirns den Sturm zu bändigen. Und glaubt mir, mein Verstand leistet ganze Arbeit. Ist ununterbrochen bemüht, mir wasserdichte Argumente zu liefern. Argumente wie Sicherheit, finanzielle Freiheit, Sorglosigkeit, Verantwortung, gesellschaftliche Anerkennung, Altersvorsorge, sogar sowas wie Sinn wollte er mir unterjubeln. Was soll ich sagen? Es hat mich nicht überzeugt.
Ich wollte diesen Job nie! Seit dem Ende meines Studiums gehe ich in Sachen Beruf den Weg des geringsten Widerstandes. Dieser Weg hat mich über eine Promotion und Projektstellen hin zu einer unbefristeten Stelle im Wissenschaftlichen Dienst und ins Beamtentum geführt. Von
außen betrachtet, eine erfolgreiche Laufbahn. Eine Laufbahn, die im wissenschaftlichen Bereich nicht selbstverständlich ist und die sich viele WissenschaftlerInnen wünschen.
Ich habe noch heute meine damals 8-jährige Tochter im Ohr, am Abend vor meiner Vereidigung: „Mama, bist du dir sicher, dass du das wirklich willst?“ Eine berechtigte Frage und wenn ich ehrlich bin, ich wusste die Antwort. Ich habe sie ignoriert.
Ich wollte das nie! Ich wollte nicht promovieren. Ich wollte keine Wissenschaftlerin sein und ich wollte nie bei diesem Arbeitgeber arbeiten. Der Weg des geringsten Widerstandes hat seinen Preis. Die Entscheidungen, die ich getroffen habe, waren motiviert durch Vernunft, Sicherheit und Angst. Und ich habe Erwartungen erfüllt. Jede Menge! Erwartungen, von denen ich dachte, dass sie andere Menschen (Vorgesetzte, KollegInnen, Familie) an mich hätten. Der Preis war hoch. Ich zahlte mit meiner Lebendigkeit, meiner Leichtigkeit, meiner Freude, meiner Freiheit, meiner Selbstwirksamkeit, meiner Autonomie, meiner Selbstachtung, meiner Integrität. Ja,
sogar mit meiner Gesundheit!
Jede einzelne Entscheidung gegen mein Bauchgefühl auf diesem Weg war ein weiterer Stein in der Mauer des selbstgebauten Gefängnisses. Jede einzelne Entscheidung machte die Mauer breiter und die Fallhöhe höher. Jeder nicht geleistete Widerstand auf diesem Weg, zahlte ein auf das Konto der Kraft, die es mich nun kostet, diese Mauer zu überwinden.
Ich habe in den letzten Jahren mehrfach Anlauf genommen. Ich habe mehrfach Kündigungen geschrieben, doch niemals abgeschickt. Heute war es soweit: Ich habe den Antrag auf
Entlassung aus dem Beamtenverhältnis formuliert, ausgedruckt, unterschrieben und abgeschickt. Ich habe die Tür in der Mauer gefunden. Sie war offen und ich bin hindurch gegangen.
Es ist das Mutigste, was ich je in meinem Leben getan habe. Und vielleicht das dümmste und leichtsinnigste. Wer weiß?
Ich bin dankbar für diesen Weg. Ich bin dankbar für jede einzelne Erfahrung. Ich bin dankbar für jeden einzelnen Kampf. Und ich glaube daran, dass mich dieser Weg in gewisser Weise auf das vorbereitet hat, was jetzt kommt.
Das Leben ist die Summe der Wahlen, die wir treffen. Jeden Tag!
Ich habe heute neu gewählt.
Ich werde ruhig.
Ich spüre Frieden in mir.
Ich fühle mich frei.
Ich darf vertrauen.
Der Sturm ist vorbei!
15. März 2023
Wie kann man den sichersten aller Jobs einfach so an den Nagel hängen?
Wie kann man eine erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahn mit Aussicht auf noch mehr Erfolg einfach so beenden?
Die Antwort ist: Mit der Kraft meines Herzens und der Kraft des Regenwurms!
Kein Witz! Der Regenwurm war zeitlebens immer präsent. Manchmal bewusst, meistens unbewusst.
Seit meiner frühen Kindheit habe ich imaginäre Begleiter. Diese Tatsache an sich ist nicht verwunderlich, da laut Studien zufolge ca. 65% aller Kinder imaginäre Freunde haben.
Überraschend ist in meinem Fall eher WER mich die ersten Jahre meiner Kindheit begleitet hat:
Es waren die Schlange, der Büffel und der Wurm.
Schlange, Büffel, Wurm. Ohne Namen. Die drei waren permanent an meiner Seite.
Waren Spielgefährten.
Waren manchmal die Grundlage meiner kindlichen Argumente.
Und sie gaben mir Halt. Ich war nicht allein.
Als amüsante Anekdote meiner Kindheit geriet diese Geschichte in Vergessenheit und wäre vermutlich
bedeutungslos geblieben. Wenn nicht… Ja… wenn sich nicht der Regenwurm Jahre später wieder völlig
unvermutet in mein Leben geringelt hätte. In Form des Forschungsthemas meiner Diplomarbeit
und der darauffolgenden Promotion. Während ich fleißig damit beschäftigt war, das richtige Thema und
den richtigen Job für mich zu suchen, fand mich der Regenwurm und wurde wiederholt zum Begleiter in meinem Leben in einer herausfordernden Phase, in der ich Halt suchte.
Das letzte Zeichen sendete mir der Regenwurm vor zweieinhalb Jahren, kurz nach meiner Verbeamtung.
Eine Freundin schickte mir einen Link zu einem Krafttier-Orakel. Relativ gedankenlos und definitiv
ohne Erwartung zog ich eine Karte. Guess what? In Erscheinung trat zum dritten Mal in meinem Leben der Regenwurm als Krafttier-Orakelkarte:
„Der Regenwurm, ein kleiner Botschafter der Erde ringelt sich in dein Leben. Das bedeutet Altes möchte aufgelöst werden. Verlasse dich auf die natürlichen Wandlungsprozesse. Das Leben wandelt Altes von allein, so dass Neues entstehen kann. Entspanne dich. Nur wenn du locker, durchlässig und geöffnet bist, kann dir neue Kraft zufließen. Deine Regenerationskräfte werden jetzt angeregt. Vertraue, und lass zu, dass Heilung geschieht.“
Also, wie kann man den sichersten aller Jobs einfach so an den Nagel hängen?
Wie kann man eine erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahn einfach so beenden?
Mit der Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit.
Mit dem Verlangen nach Selbstbestimmtheit und Sinn.
Mit dem Mut der Stimme meines Herzens zu folgen.
Mit Vertrauen in den Fluss des Lebens.
Mit der Kraft des Regenwurms.
17. Oktober 2023
Was ich gebraucht hätte, um aus einem
Familienalltag voller Überforderung
auszubrechen
Als meine Kinder sechs und drei Jahre alt waren, befand ich mich an meinem mentalen
und privaten Tiefpunkt. Ich empfand mein Leben als einzige Überforderung.
Meine Arbeit war öde.
Meine Vorgesetzten unfähig.
Mein Familienalltag war purer Stress.
Meine Kinder anstrengend.
Und meine Beziehung alles andere als erfüllend.
Ich fühlte mich den äußeren Umständen vollkommen ausgeliefert.
Schuld and der katastrophalen Überforderung waren in meinem Kopf meine Arbeit,
mein Mann und meine Kinder.
Aus dieser Haltung heraus vergaß ich, dass ich diejenige war,
die sich aktiv für diesen Job beworden hatte.
Dass ebenfalls ich diejenige war, die nach dem erfolgreichen Vorstellungsgespräch
genau diesen Job angenommen hatte. In vollem Bewusstsein der Konditionen.
Ich vergaß, dass ich diejenige war, die im vollen Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten 1. genau
diesen Mann geheiratet hatte und 2. nach der Geburt der gemeinsamen Kinder NICHT über eine faire Verteilung der Carearbeit gesprochen und verhandelt hatte.
Ich vergaß, dass ich diejenige war, die permanent über ihre eigenen Grenzen ging und ich vergaß, dass ebenfalls ich diejenige war, die zuließ, dass andere ebendiese Grenzen übertraten.
Was ich in dieser Situation gebraucht hätte, wäre eine empathische Familienberatung gewesen. Eine Familienberatung oder ein Coaching, dass mir vermittelt hätte:
Ich sehe dich!
Ich sehe deine Anstrengung!
Ich sehe deine Überforderung!
Ich sehe deine Bemühungen!
Ich sehe das, was du leistest.
Ich sehe dich in deinem Schmerz
Ich sehe dich in deiner Trauer.
Ich sehe dich in einer Wut.
Und ich unterstütze dich auf deinem Weg da raus.
Ich unterstütze dich dabei, Verantwortung zu übernehmen für deine Entscheidungen, für dein Leben und dir auf diese Weise das Ruder wieder in die Hand zu geben.
Heute Morgen wurde ich begrüßt mit den Worten: „Guten Morgen Sie treue Seele.“
Mich freut diese Begrüßung und gleichzeitig stimmt es mich nachdenklich.
Was in diesen Worten mitschwingt ist Dankbarkeit, Freude und Erleichterung.
Darüber, dass es Menschen gibt, die bereit dazu sind, einen Teil ihrer Zeit mit
ehrenamtlicher Tätigkeit zur verbringen. Die ihre Zeit und Energie zur Verfügung stellen
um dazu beizutragen, dass Kinder sicher zur Schule gelangen, dass geflüchtete Menschen Anschluss
und Integration finden, dass kranken und alten Menschen ein kleines bisschen Würde gegeben wird
(um nur einige wenige Beispiele zu nennen). Die dazu beitragen, dass Menschen in ihren (meist sozialen) Berufen entlastet werden und unterm Strich: dass unsere Gesellschaft funktioniert.
Man sollte meinen, dass wir alle im selben Boot sitzen. Doch nein, das tun wir nicht!
Manche Boote -die meisten- halten sich gerade so über Wasser. Manche Boote sind manövrierunfähig oder bereits Leck geschlagen und laufen voll. Und dann gibt es einige Boote, die sind ziemlich komfortabel. Also nein, wir sitzen nicht im selben Boot. Doch was wir alle gemeinsam haben, ist der Sturm. Wir steuern alle im selben Sturm. Dieser Sturm fegt in alle Ecken und Enden. Die Infrastruktur bröckelt.
Glaubt man den Prognosen, gibt es wenig Grund für Optimismus.
Ist es nicht gerade in diesen Zeiten wichtiger als je zuvor als Gesellschaft zusammen zu rücken?
Dass wir uns gegenseitig unsere Boote reparieren?
Dass wir kurszeitig mal ein Ruder übernehmen, auch, wenn es nicht unser eigenes Boot ist?
Ist es nicht gerade in diesen Zeiten wichtiger als je zuvor Gründe für Hoffnung liefern?
Ist es nicht in diesen Zeiten wichtiger als je zuvor Menschlichkeit zu leben?
Ich wünsche mir von Herzen jede Menge treuer Seelen für diese Gesellschaft für dieses Land.
08. Februar 2024
© Dr. Friederike Meyer-Wolfarth. Alle Rechte vorbehalten.
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